Kolkraben in Mutterkuhherden

Der Autor, Wolf-Dieter Otto, wohnt in Herford und studierte Biologie an der Philipps-Universität Marburg – unter anderem bei dem bekannten Naturschutzprofessor und Buchautoren Prof. Dr. H. Plachter. 1997 wechselte er zur Universität Potsdam (Schwerpunkt Ökologie/Naturschutz). Dort arbeitete er zusammen mit dem Ökoethologen Prof. Dr. D. Wallschläger an der Kolkrabenforschung in der Prignitz und schrieb seine Diplomarbeit zum Thema: ‘Untersuchungen zum Verhalten von Kolkraben in Mutterkuhherden in Vorpommern, im Vergleich zu Untersuchungen in der Prignitz’. Eine kurze Zusammenfassung finden Sie hier.

Nach Problemen mit hohen Tierverlusten unter den Kälbern in einem Mutterkuhbetrieb in Vorpommern, kam es im Frühjahr 1999 zu einer heftigen Diskussion in den Medien. Dabei wurden Schwärme von Immaturen der Kolkraben, welche sich in dem Gebiet und auf den Weidestandorten aufhielten, für die Schäden verantwortlich gemacht.

Daraufhin leitete man noch im Frühjahr 1999 eine wissenschaftliche Untersuchung ein. Ziel der Arbeit war eine bestmögliche Aufklärung der Umstände, welche zu den Schäden führten. Es fanden ausgiebige Beobachtungen sowie zahlreiche Gespräche mit den Betroffenen am Ort statt. Die Ergebnisse wurden nach einem umfangreichen Literaturstudium mit anderen Arbeiten – besonders einer Untersuchung in der Prignitz 1998 – zu dem Thema abgeglichen. Dabei wurde festgestellt, daß diese nördliche Kolkrabenpopulation kein signifikant unterschiedliches Verhalten gegenüber den in der Prignitz beobachteten Immaturengruppen zeigte. Entsprechend den etwas anderen Umweltbedingungen fand lediglich eine leichte Verschiebung der Präferenzen statt.

Raben an einem ausgelegten Kälberkadaver

Geburtsstillstand für eine Viertel Stunde – möglicher Angriffspunkt der Raben

Nachgeburt führt zu Rabenansammlung

Als Ergebnis ist festzuhalten, daß Schäden durch Raben immer am Ende einer ganzen Ursachenkette stehen. Ein Töten von gesunden Kälbern durch Kolkraben konnte nicht konstatiert werden. Als Anlaß für Attacken durch Raben können gelten:

Krankheit der Kälber (in dem Betrieb in der Prignitz stark; in Vorpommern während der Untersuchungen weniger, aber vorher (im Februar 1999) entscheidend).

Verzögerte Geburtsvorgänge ( in der Prignitz nicht, aber in Vorpommern entscheidend).

Fehlende Mutter-Kind-Bindung und Verhaltensstörungen .

Schäden durch streunende Hunde, Fuchs, Marderhund, Wildschwein oder andere Wildtiere (in Vorpommern entscheidend).

Bei der hier vorliegenden Untersuchung konnten innerhalb von 504 Beobachtungsstunden auf gleichzeitig 100 bis 200 Mutterkühe in verschiedenen Herden nur 2 Schäden durch Kolkraben an bereits vorgeschädigten Kälbern beobachtet werden. In beiden Fällen waren die Verletzungen nicht lebensgefährlich. Innerhalb des normalen Herdengeschehens führten besonders Nachgeburten zu einer großen Ansammlung von bis zu 110 Kolkraben auf den Weiden. Aber auch die Grundfütterung der Herden mit Kälberpellets und Silage auf den Winterweiden wurde von den Vögeln genutzt und zog sie an. Die Kolkraben ‚patrouillierten‘ regelmäßig durch die Weiden. Gern wurde dabei der Kot junger Kälber aufgenommen. Liegende Tiere wurden in der Schwanzgegend angepickt bis sie aufstanden. Kranke und schwache Kälber wurden dabei erkannt und verstärkt attackiert. Aus den gewonnenen Ergebnissen lassen sich hinsichtlich eventueller Probleme mit Raben folgende Empfehlungen ableiten:

Optimierung der Nachzucht in den Punkten:
leichtes Kalben
Mütterlichkeit
natürliche Gesundheit
Verlagerung der Geburten aus dem zeitigen Frühjahr in spätere Monate des Jahres
Kälbersichere Einzäunung
Kälberschlupf als Witterungsschutz und Abliegeplatz
Weiden ‚rabenfeindlich‘ gestalten
Kälberfutterautomat für Raben unzugänglich umbauen
erhöhte Sitzgelegenheiten für Raben auf den Weiden vermeiden oder für Raben unattraktiv gestalten
keine Fütterung von Roggensilage auf Weiden mit jungen Kälbern
keine Fütterung von Maissilage
Beseitigung der Nachgeburten
Verzicht auf das Ankirren und Füttern von Wildtieren mit Kälberkadavern – zumindest in der Nähe von Weidestandorten
Kadaver bis zur Entsorgung in einem Kadaverhaus lagern.
Vollständig werden sich jedoch Konflikte zwischen Nutztieren und Wildtieren in der Natur nie ausschließen lassen. Der Kolkrabe gehört als heimische Art mit zu unserer Fauna und sollte respektiert werden. Vergrämungsmaßnahmen an den Weiden versprechen – wie diese Untersuchung ebenfals zeigte – keinen Erfolg. Eine weitgehende Dezimierung würde ebensowenig erfolgversprechend sein, jedoch der Ausbreitungstendenz der Kolkraben an den Randgebieten der Areale entgegenwirken. Der Kolkrabe ist ein ’natürlicher Standortfaktor‘ und muß von der Landwirtschaft als solcher einkalkuliert werden. Hier sollte nicht die Natur der Landwirtschaft, sondern die Landwirtschaft der Natur angepaßt werden.

Altüberlieferte Vorurteile gegen diesen in anderen Kulturen verehrten Vogel müssen in unserer aufgeklärten Gesellschaft abgelegt werden. Unter anderem hierfür ist in der Zukunft – auch im Hinblick auf die weitere und erwünschte Remigration und die dadurch bedingte flächenmäßige Ausbreitung der Probleme – eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit, Aufklärung und weitere Forschung nötig.